Norwegen plant ein einmaliges Tunnelbauprojekt:
Ein 1,7 km langer Schiffstunnel soll durch einen 300 m hohen Berg führen. 2019 sollen die Bauarbeiten starten. Die Bauzeit ist mit 4 Jahren angesetzt. Mit 340 Millionen Franken scheinen die geplanten Kosten überschaubar. Wird diese Rechnung aufgehen?
(Text: Robert Schütz, bautalk)
Die Schweizer gelten zu Recht als die anerkannten Experten im Tunnelbau. Das haben wir spätestens seit der Eröffnung des NEAT bewiesen. Und beim direkten Durchqueren von scheinbar unüberwindbaren Bergmassiven geniessen unsere Ingenieure und Baumeister weltweit einen erstklassigen Ruf. Und doch schaut man derzeit mit einem gewissen Staunen und vielleicht sogar mit Bewunderung und Anerkennung in Richtung Norden. Denn was die Norweger nun vorhaben, ist einmalig: Man will den Moldefjord und den Vanylvsfjord durch einen der grössten Schiffstunnel der Welt verbinden. Die Fachpresse spricht bereits jetzt von einem Vorhaben der Superlative. Schiffstunnel gab es schon vorher. So wurde bereits 1847 der Weilburger Schiffstunnel in Deutschland erbaut, um die Untiefen der Lahn zu umgehen und schon zu Zeiten Napoleon Bonapartes wurde zwischen 1801 und 1810 in Nordfrankreich der Riquevaltunnel errichtet. Das Besondere in Norwegen ist das Ausmass dieses Bauwerkes. Immerhin wird hier auf einer Länge von 1,7 km, unterhalb eines 300 m hohen Berges, eine Landenge komplett untertunnelt. Selbst Kreuzfahrtschiffen ist so die Durchfahrt möglich. Niemals zuvor wurde ein derart gigantisches Tunnelprojekt realisiert. Anfang April 2017 gab das norwegische Parlament nach langem Ringen dann endlich grünes Licht.
Kosten und Bauzeit vergleichsweise gering
Kosten soll das wohl ehrgeizigste Tunnelprojekt der Seeschifffahrt rund 2,7 Mrd. Kronen. Das entspricht etwa 340 Mio. Franken. «Wenn die notwendigen Finanzmittel in den Landeshaushalt 2018 aufgenommen werden, könnten wir mit dem Tiefbau 2019 beginnen», erklärte Projektleiter Terje Andreassen von der Norwegian Coastal Administration (Küstenverwaltung). In einem Interview vom 9. April dieses Jahres hatte Andreassen gegenüber der Stuttgarter Zeitung jedoch korrigiert: «Wahrscheinlicher ist aber 2020 oder 2021». Es bleibt also spannend, zumindest was den Zeitplan angeht. Gleiches gilt, wie bei allen Projekten dieser Grössenordnung, sicher auch für den vorkalkulierten Kostenplan, der ja auf den ersten Blick noch recht günstig erscheint. Vergleicht man dieses Budget mit den Baukosten des NEAT, der innerhalb seiner Bauzeit von 17 Jahren Kosten in Höhe von 11 Mrd. Franken verursachte, könnte man das norwegische Vorhaben fast als geringfügig einstufen. Doch kann man diese beiden Projekte nur schwerlich vergleichen. Diese Gegenüberstellung zeigt nur, dass die veranschlagte Summe für ein recht wohlhabendes Land wie Norwegen, durchaus vertretbar und angemessen ist. Noch ein beliebter Vergleich darf hier nicht fehlen: Der Berliner Flughafen hat bereits jetzt 6,5 Mrd. Euro verschlungen, und das Ende der Ausgaben und der Bauzeit liegt nach wie vor in den Wolken. In Norwegen wird alles hoffentlich etwas planmässiger verlaufen, und alle können wie verabredet pünktlich und budgetgerecht zur Jungfernfahrt starten.
Eine Mautgebühr soll es nicht geben
Nach der Eröffnung wird übrigens gleich noch eine gute Nachricht die Reedereien und Fahrgäste erfreuen: Eine Mautgebühr soll es nicht geben, sondern nur zahlreichen Vorteile: Selbst die grössten Hurtigruten-Schiffe, die bis zu 1000 Fahrgäste befördern, sollen später den Stad Skipstunnel mühelos durchqueren können. In jeder Stunde werden 5 Schiffe im Einbahnverkehr den Berg unterfahren. Bis zu 120 Passagier- und Frachtschiffe mit einer Grösse von bis zu 16 000 Bruttoregistertonnen, werden dann pro Tag diese unterirdische Abkürzung nehmen. Eines hat dieser Schiffstunnel mit einem Eisenbahntunnel gemeinsam, der Raum ist knapp bemessen. Die Höhe wird mit 49 m angegeben. Der Tiefgang wird bei 12 m liegen. Die Tunnelbreite beträgt gerade mal 36 m und ist für Schiffe mit einer Breite von bis zu 26,5 m ausgelegt. Rechts und links bleiben somit rechnerisch nur jeweils 4,75 m. Es wird also eng werden, in der einspurigen Fahrrinne, die hier unter der Halbinsel Stadlandet hindurchführt. Gegenverkehr ist folglich nicht zu befürchten. Doch Platzangst könnte für den eine oder anderen Fahrgast, der dann aus dem Fenster blickt, durchaus zum Thema werden. Die von der Klaustrophobie Betroffenen dürften sich jedoch darüber freuen, dass die gesamte Fahrtzeit, bei einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von rund 8 Knoten (15 km/h) gerade mal 10 Minuten betragen soll.
Der Stad Skipstunnel macht die Seefahrt sicher
Doch warum wurde dieses ungewöhnliche und anspruchsvolle Projekt überhaupt notwendig? Hierzu muss man nicht lange suchen. Ein Blick in die jüngste Vergangenheit der norwegischen Seefahrt in diesen Gefilden gibt schnell Aufschluss. Hier nur einige Beispiele: Im Jahre 2003 entging die MS Midnatsol (Mitternachtssonne) der Hurtigruten-Linie nur knapp einer Katastrophe. 2007 lief der deutsche Minenjäger «Grömitz» bei schlechter Sicht auf ein Riff und der Frachter Molo Trader verunglückte 2011 in diesem stürmischen Gebiet der Nordsee, die seit jeher zu den wichtigsten Frachtverbindungen gehört. Seit 1893 verbindet die traditionelle Postschifflinie Hurtigruten-Linie, die Orte an der 2700 km langen Westküste Norwegens, und schon immer war der anspruchsvolle Abschnitt entlang der Halbinsel Stadlandet für Schiffsführer vor allem bei stürmischem Wetter die schwierigste Herausforderung. Hier herrschen extreme Strömungen und Winde, welche vielen Schiffen immer öfter zum Verhängnis wurden. Man vermutet, dass bis heute 56 Schiffswracks in diesem Seeabschnitt auf dem Meeresgrund liegen. Bereits seit dem 19. Jahrhundert befasst man sich mit dem Gedanken, einen derartigen Bypass zu schaffen. Doch erst in den letzten Jahrzehnten wurde die Idee wieder aufgegriffen, und es wurden zahlreiche Alternativen geprüft, um Passagierund Frachtschiffen bei stürmischer See eine sichere Seereise zu ermöglichen. Jetzt stehen die Pläne fest, und die optimale Lösung scheint gefunden.
Die Entscheidung, die Bergunterführung für Schiffe exakt an dieser Stelle zu starten, hat gute Gründe: Die See ist hier vergleichsweise ruhig und der Ort liegt geschützt in einer kleinen Bucht. Zudem hat die Halbinsel genau hier unten mit nur 1,7 km ihre schmalste Stelle. Bautechnisch scheint dieses Projekt relativ einfach und mit Massnahmen zu meistern, die uns Schweizern sehr vertraut sind. Man wird hier ähnliche Vortriebsverfahren einsetzen, wie sie auch beim Gotthardtunnel zum Erfolg führten. Auch hier wird man aufgrund der geologischen Gegebenheiten an einigen Stellen um eine Sprengung nicht herumkommen. Überwiegend werden jedoch bei dieser verhältnismässig kurzen Strecke in Norwegen ebenfalls modernste Tunnelbohrmaschinen eingesetzt. Projektleiter Andreassen fügt hinzu, dass der Tunnelvortrieb in das Gneiss-Gestein mittels Tunnelbohrmaschinen und Sprengungen auf verschiedenen Ebenen erfolgen müsse. Zudem wird nun aktuell aus Norwegen berichtet, dass vor Baubeginn zunächst an beiden Enden des Tunnels ein Damm aufgetürmt wird, um das Wasser von der Baustelle fernzuhalten, so Projektleiter Terje Andreassen von der Norwegian Coastal Administration (Küstenverwaltung).
Andreassen merkt an, dass seine Mannschaft vor Beginn der Tiefbaumassnahmen noch einige logistische Herausforderungen zu bewältigen hätte, bevor es richtig losgeht. Eine dieser Aufgaben ist es, eine öffentliche Strasse in dem gebirgigen Gelände, zumindest für die Zeit der Bauarbeiten, komplett zu verlegen. Zudem müssen viele Anwohner, die hier auf den Anhöhen seit Generationen leben und unter anderem Schafe züchten, umsiedeln. Das sorgt bei vielen Einheimischen, trotz angemessener Entschädigung, für Verdruss. Das ist das Traurige an diesem hoffnungsvollen Projekt, bei dem man auch die Schattenseiten nicht verschweigen will. So muss auch für den Abtransport von rund 8 Mio. t Gestein noch die optimale Lösung gefunden werden. Geplant ist zudem die Einrichtung von Arbeitsplattformen. Ob diese Probleme dann alle rechtzeitig gelöst werden können, ist noch unklar. Es mag durchaus sein, dass man noch den Bau eines speziellen Arbeitstunnels zusätzlich in Betracht ziehen muss, so Andreassen. Insgesamt gibt man sich jedoch zuversichtlich, dass die Schifffahrt zwischen diesen norwegischen Fjorden schon in wenigen Jahren ruhiger und vor allem sicherer funktioniert. Frachtschiffer, Reisende und Touristen wird es freuen. Noch bleibt etwas Zeit, um die Hürden zu meistern, bevor es dann tatsächlich mit den Bauarbeiten losgehen könnte.
Text: Robert Schütz (,bautalk)
Kunde: Robe-Verlag
Veröffentlicht im „Schweizer BauJournal“