Das Neue Berliner Stadtschloss
Historische Rekonstruktion und funktionaler Neubau
Der Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses ist auf Kurs. Bereits Ende 2019 soll hier das Humboldt Forum einziehen. Die barocke Fassade ist eine der grössten Herausforderungen. Bei der Rekonstruktion gilt es die Vorgaben an Stil und Funktion gleichermassen zu erfüllen. Kann dieser Spagat gelingen?
Text: Robert Schütz (bautalk)
Publiziert im Schweizer Baujournal
Schlösser haben meist eine lange und aufregende Geschichte. Doch das Schicksal und der Verlauf der Ereignisse rund um das Berliner Stadtschlosses sind sicher aussergewöhnlich: Das Schloss wurde ursprünglich 1443 als feste Residenz der Hohenzollern erbaut. Erst Anfang des 18. Jahrhunderts während der Regentschaft von Friedrich I, König „in“ Preußen, wurde es von dem deutschen Barockarchitekten und Bildhauer und damaligen Schlossbaumeister Andreas Schlüter, im grossen Stil erweitert. Der letzte Monarch, der hier tatsächlich Hof hielt, war Kaiser Wilhelm II, der jedoch am 9. November 1918 abdankte und über Belgien nach Holland flüchtete. Das Schloss wurde vom Volk besetzt und geplündert. Gegen Ende des zweiten Weltkrieges, im Mai 1944 wurde des Prunkbau schliesslich durch einen schweren Bombenangriff weitgehend zerstört. Am 3. Februar 1945 brennt das Schloss nach einem weiteren Bombentreffer vier Tage lang und ist endgültig zerstört. Nur die Aussenmauern stehen noch. Nach dem Krieg übernimmt die SED (Sozialistischen Einheitspartei) im Ostsektor die Macht. Denen passte ein Schloss, als Symbol von Prunk mit samt seinen schönen Künsten sogar nicht ins sozialistische Konzept. Die Entscheidung der neuen Machthaben unter Vorsitz von Walter Ulbricht stand fest: Am 7. September 1950 wurde das Schloss gesprengt. An gleicher Stelle wurde der „Palast der Republik“ errichtet, auch bekannt als Erichs Lampenladen. Dieser wiederum, wurde nach der Wende wieder abgerissen und am 13. November 2013 beschloss der Deutsche Bundestag das Berliner Schloss als Sitz es Humbold-Forums wieder zu errichten. Schon bald soll es wieder an gewohnt Platz stehen. Als wäre nichts gewesen.
Die kluge architektonische Verknüpfung von Alt und Neu
Als Sieger eines Wettbewerbes „Wiedererrichtung des Berliner Schlosses – Bau des Humboldt-Forums in Schlossreal Berlin, so der offizielle Titel, ging der Entwurf des Architekten Francesco Stella aus Vicenza (Italien) hervor. Der damalige Kulturstaatsminister Bernd Neumann würdigte den Siegerentwurf als schlüssiges und tragfähiges Gesamtkonzept zur Schaffung eines neuartigen Zentrums kultureller und wissenschaftlicher Begegnung von internationaler Bedeutung. Naumann wörtlich: „Der Entwurf besticht durch eine kluge architektonische Verknüpfung von Alt und Neu, von moderner Nutzung und der Rekonstruktion des ehemaligen Schlosses. Dabei wurden die Forderungen des Deutschen Bundestages ideal umgesetzt. Vor allem die Wiedererrichtung der barocken Fassaden der Nord-, West- und Südseite sowie von drei Fassaden innerhalb des Schlüterhofes und eine Rekonstruktion der historischen Kuppel galten als wichtig Vorgabe. Eine moderne Forum Ausstellungs- und Veranstaltungsstätte hinter einer barocken Fassade zu schaffen, dass gleichzeitig alle Anforderungen an Sicherheit, Brand-, Schallschutz und Energieeinsparung erfüllt, war sicher keine leichte Aufgabe, die dennoch gelang. Das moderne Traggerüst für den Neubau Berliner Schloss – Humboldtforum ist eine Betonkonstruktion, vor der eine 60 cm starke Ziegelsteinfassade gestellt wurde. Sie trägt die Sandsteinvorlagen und Fenstereinfassungen aus Naturstein. Beide Konstruktionsschichten sind durch eine Kerndämmung und eine Luftschicht voneinander getrennt. Als Grundlage für die energetischen Berechnungen des gesamten Projektes wurde die deutsche Energieeinsparverordnung (EnEV) 2009 zugrunde gelegt. Doch das Bundesbauministeriums in Berlin hatet noch ehrgeizigere Pläne: Der zulässigen Wert für den Primärenergiebedarf soll um weitere 30 % unterschritten werden.
Die Energieversorgung: Ein Mix aus Fernwärme und Geothermie
Das Humboldtforum hat energetisch eine Vorbildfunktion und muss dieser Aufgabe gerecht werden, und das obwohl es gleichzeitig die Auflagen der Denkmalschützer erfüllen muss. Das Gebäude wird hierfür u.a. durch Fernwärme vom Kraftwerk Mitte vorsorgt, das in unmittelbarer Nähe liegt und als einer der modernsten Kraftwerke Europas gilt. Zustätzlich wird eine oberflächennahe Geothermie eingesetzt. Sie soll sowohl der Wärme- als auch der Kälteversorgung dienen. Die Kompressionskälte wird hier vor allem für die Kühlung von Elektro- und Serverräumen benötigt. Der Energieaufwand kann durch die Geothermie stark reduziert werden. Hierzu werden nördlich vom neuen Schloss zwei Erdsondenfelder erschlossen und 92 Gründungsphähle aktiviert. Die Erdwärmesonden liegen in einer Tiefe von ca.100 Metern. Um die Kälteversorgung der gesamten Museumsfläche ständig zu sichern, wird zusätzlich ein Eisspeicher installiert. Insgesamt wird so eine Kälteleistung von 3000 kW erreicht, mit Eispeicher gelingt sogar ein Spitzenwert von 5 300 kW. In einem Museumsbau kommt noch eine weitere Herausforderung an die klimatischen Bedingungen hinzu. Für die Ausstellungsräume gelten strenge Vorgaben für das exakte Raumklima, die es unbedingt einzuhalten gilt. Nur so können die hochempfindlichen Exponate der beiden Hauptnutzer, das Ethnologischen Museum und das Museums für Asiatische Kunst, fachgerecht präsentiert werden. Der Grenzwert für die Raumtemperatur in den Ausstellungsräumen liegt bei maximal 25° C. Die mittlere relative Luftfeuchtigkeit sollte dabei 52 % nicht überschreiten. Dabei gilt ein Toleranzbereich von +/- 3 % für die Luftfeuchtigkeit. Die Innentemperatur hingegen darf lediglich 1 K (Kelvin) abweichen.
Die Barocke Fassade am Neuen Stadtschloss
Das Besondere an dem Wiederaufbau des Berliner Schlosses ist ganz klar die Barocke Fassade. Nur die an die Spree grenzende Ostseite wird nach dem preisgekrönten Entwurf von Franco Stella modern gestaltet. Alle weiteren Seiten werden weitgehend originalgetreu rekonstruiert. Hierzu gehört der nach dem barocken Baumeister aus dem 18. Jahrhundert benannte Schlüterhof (Innenhof). Selbst die imposante Kuppel über dem Portal III wird wieder komplett errichtet und mit Kupfer eingedeckt. Diese Aufgabe stellt höchste Anforderungen an Architekten, Steinbildhauer und Steinmetze. Schon im Jahre 2004 wurden die bestmögliche Rekonstruktion der vielen einzelner Elemente Ton- und Gipsmodelle angefertigt, die als Vorlage für die Anfertigung der Fassadenelemente in Sandstein dienen. Ohne solche Modelle wäre der Nachbau der historischen Ornamente und Figuren an dem Neuen Schloss in der gewünschten Qualität nicht möglich. Dabei muss man berücksichtigen, dass die speziell geschulten Steinmetze ihre Arbeiten nicht mehr korrigieren können. Da muss sprichwörtlich jeder Hammerschlag sitzen. Mehr als drei Millionen Ziegel der 60 Zentimeter dicken Aussenmauer tragen die meist tonnenschweren Sandsteinschmuckstücke, die mit ihren nicht sichtbaren Teilen in die Wand eingelassen sind. Das ist oft Millimeterarbeit, um eine exakte Fassadenflucht hinzubekommen. Ein „Vergoldungskonzept“ für die Fassadenkunstwerke wurde auf Basis der historischen Vergoldungen erstellt. Gold wird hier jedoch nur ganz sparsam eingesetzt. Vergoldet werden niemals ganze Figuren, sondern immer nur einzelne wichtige Bestandteile, wie z.B. ein Palmwedel oder ein Engelflügel.
Kosten- und Zeitplan voll auf Kurs
Und zum Schluss noch eine gute Nachricht, wie man Sie aus Berlin schon länger nicht mehr vernommen hat: Sowohl der Zeit- als auch der Kostenplan konnten bis jetzt tatsächlich eingehalten werden, das jedenfalls erklärte kürzlich der Bauvorstand Hans-Dieter Hegner u.a. gegenüber der Wiesbadener Zeitung. Hegner ist zudem Vorstandsmitglied der Stiftung Berliner Schloss im Humboldt Forum. Laut seinen Angaben wird der Bau das eingeplante Budget von 595 Millionen Euro nicht überschreiten. Auch die amtierende Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) bestätigte gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa) am 18. August, das Grossprojekt sei nach wie vor im Kosten- und Zeitrahmen. Sie fügte jedoch hinzu: „Die Frage stellt sich aber, ob es didaktisch wirklich sinnvoll ist, alles auf einen Schlag zu eröffnen oder ob man die Inhalte in vertretbaren Phasen präsentiert.“ Doch scheint dies wohl nur ein didaktisches Problem. Bereits im Juli dieses Jahres konnten die ersten 30 Meter der Barockfassade von Baugerüsten befreit werden und im Frühjahr 2018 soll die Fassade komplett sein. Nach dem aktuellen Stand der Dinge könnte daher die Eröffnung Ende 2019 tatsächlich Wirklichkeit werden. Übrigens: Nur das eigentliche Humboldt Forum wird vom Staat finanziert. Die Rekonstruktion der barocken Schlossfassaden hingegen wird ausschliesslich durch private Spenden abgedeckt – und kostet den Steuerzahler keinen Cent. Insgesamt läuft also in Berlin diesmal alles auf Kurs. Man kann es den Berlinern nur gönnen. Ob die zahlreichen ausländischen Gäste am Eröffnungstermin des Schlosses jedoch über den Neuen Berliner Flughafen BER anreisen, steht noch immer in den Wolken.